„Das Bewußtsein unserer Sterblichkeit ist ein köstliches Geschenk – nicht die Sterblichkeit allein, die wir mit den Molchen teilen, sondern unser Bewußtsein davon. Das macht unser Dasein erst menschlich.“ (Max Frisch)

Sehr geehrte Leserschaft,

 

die alten Römer pflegten ihren siegreichen Feldherren bei deren Triumphzug einzuflüstern: Memento moriendum esse! (in etwa: Bedenke, dass Du sterblich bist!). Wahrscheinlich, damit die Herren nicht übermütig würden. Ich finde die Idee nicht schlecht.

 

Ich habe das Gefühl, dass wir uns in unserer Gesellschaft nicht mehr wirklich mit unserer eigenen Sterblichkeit auseinandersetzen und ich finde das bedenklich. Die Kunst zu sterben und die Kunst zu leben sind nämlich eng miteinander verwandt. Unsere Gesellschaft bemüht sich, alles weg zu sortieren, was traurig aber auch nachdenklich machen könnte: Alte, Kranke, Verrückte, Arme, Gescheiterte, Sterbende.

Ich frage mich, ob das so gut ist. Ich habe Angst, dass wir „vermolchen“.

 

Zunächst ist natürlich offensichtlich, dass dieses System die Weg-Sortierten recht einsam macht und dass sie – aus den Augen aus dem Sinn – auch oft keine Aufmerksamkeit erreichen können wenn es um Gesetzesbeschlüsse oder mangelnde Versorgung geht

Davon abgesehen tun sich die jungen, gesunden Erfolgsmenschen aber auch nicht wirklich einen Gefallen damit. Wir werden permanent auf Konsum und Tempo getrimmt – dass nervt mich so unendlich!

 

Man soll vor allem belastbar, flexibel, schnell und stressresistent sein. Am besten mit kaufmännischer Ausbildung und fundierten PowerPoint-Kenntnissen.

 

Wer hingegen Lücken und Zick-Zack im Lebenslauf hat, dem wird es nicht helfen, wenn er sich beim Bewerbungsgespräch als liebevoller, gebildeter, achtsamer und erfüllter Mensch präsentieren kann. Diese Attribute gelten nicht als Schlüsselqualifikationen.

 

Sinn-los? Bewusst-los? Lieb-los? Das scheint völlig in Ordnung zu sein, solange man funktioniert.

Ich will aber nicht bloß funktionieren!

Meine Zeit hier ist schließlich begrenzt!

Und da empfiehlt es sich doch wirklich, hin und wieder inne zu halten und die gesteckten Prioritäten zu überdenken.

 

  • Gehe ich mit Magenschmerzen zur Arbeit?
  • rechtfertigt meine Karriere, dass ich meine Lieben kaum zu Gesicht bekomme?
  • Kann ich mit wenig(er) zufrieden sein?
  • Finde ich mich gut? Oder zumindest ok?
  • Fühle ich mich ab und an wunderbar?
  • Lache ich gelegentlich ganz herzlich?
  • Übernehme ich die Verantwortung für mein Leben?
  • Wenn ich morgen tot umfallen sollte – Welche Versäumnisse würden mich quälen?
  • Falls ich morgen doch nicht tot umfallen sollte – Könnte ich mich um diese Versäumnisse kümmern?

 

Trotz allem habe ich oft das Gefühl, meine Lebenszeit wäre eine zu kurz geratene Decke und wie ich diese auch drehe und wende, ich werde nicht all meine Ziele und Wünsche damit abdecken können.

Das geht mir – wie fast immer – nicht allein so. Georg Christoph Lichtenberg schrieb schon im 18. Jahrhundert:

 

„Es gibt zwei Wege, das Leben zu verlängern:

erstlich, daß man die beiden Punkte „geboren“ und „gestorben“ weiter voneinander bringt und also den Weg länger macht.

Diesen Weg länger zu machen, hat man so viele Maschinen und Dinger erfunden, daß man, wenn man sie allein sähe, unmöglich glauben könnte, daß sie dazu dienen könnten, einen Weg länger zu machen; […]

Die andere Art ist, dass man langsamer geht und die beiden Punkte stehen lässt, wo Gott will, und dieses gehört für die Philosophen.

Diese haben nun gefunden, dass es am besten ist, dass man zugleich botanisieren geht,
zickzack,
hier versucht, über einen Graben zu springen und dann wieder herüber,
wo es rein ist, und es niemand sieht, einen Purzelbaum wagt,
und so fort.“

 

Mit purzelbaumartigen Grüßen

Fräulein Bork

2 Gedanken zu “„Das Bewußtsein unserer Sterblichkeit ist ein köstliches Geschenk – nicht die Sterblichkeit allein, die wir mit den Molchen teilen, sondern unser Bewußtsein davon. Das macht unser Dasein erst menschlich.“ (Max Frisch)

  1. saul schreibt:

    danke für den coolen blog!!!

    ‚Wenn ich morgen tot umfallen sollte – Welche Versäumnisse würden mich quälen?‘
    ich sehen ein Widerspruch hier!!! nach dein Tod wie kamst du selbsquälen!!!

    • Fräulein Bork schreibt:

      Na, ich könnte zum Beispiel als Gespenst durch die Nacht spuken.

      Die heulen ja immer so herum – das ist bestimmt weil sie zu Lebzeiten die falschen Prioritäten gesetzt haben!
      Und das quält sie dann.
      Verständlicherweise.

      Man sollte die Geisterstunde umtaufen in die „Stunde des Bedauerns“.

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